…wenn interdisziplinäres Studieren eine ganze Stadt bewegt…

Vor drei Jahren schien noch alles klar: Die Verpackungsmittelfabrik (Foto) sollte abgerissen werden, ein schönes Pflegeheim am Stadtrand gebaut werden. Für letzteres suchte ein fortschrittlicher freier Träger in der ostdeutschen Stadt Saalfeld Mitdenker – schön wirtschaftlich sollte die Heimkonzeption werden, aber sozial und architektonisch schon anspruchsvoll. Die wesentlichen Koordinaten – Bettenzahlen, Fernwärmeanschluss und Grundstück – standen fest. Für wenige 1.000 € sollte Sozialmanagement-Prof. Dr. Ulrich Otto – damals noch an der Uni Jena – die Konzeptionsentwicklung unterstützen.

Silverhousing Saalfeld

Ulrich Otto tat sich mit dem Architektur-Prof. Walter Stamm-Teske von der Bauhaus-Uni Weimar zusammen und beiden war klar: Gründlich neu definiert wäre die Aufgabe – zukunftsorientiertes Wohnen Älterer in der 12.000-Einwohner-Stadt – herausfordernd, aber ein Heim würden sie gewiss nicht konzipieren. Stattdessen machten sie sich 3 anstrengende Semester lang mit 18 Architektur- und 12 Sozialpädagogik-Studierenden in einem intensiven Lehrforschungsexperiment auf die spannende Suche: überall in Saalfeld Möglichkeiten aufzuspüren, wie Leben und Wohnen im Lebenslauf – für alle Lebensalter – aussehen könnte.

In einem intensiven interdiszipliniären 5-Tage-und-Nächte-Workshop vor Ort (2 Fotos u.) wurden Grundstücke sondiert, EinwohnerInnen befragt, ExpertInnen eingeladen.

Saalfeld_Workshop_07_

Und dann in gemischten Teams erste Entwürfe für völlig unterschiedliches Wohnen – immer aber: auch für Älterwerdende – ausgearbeitet. Gefragt waren Diversität, Lebensfreude, Vision, aber auch realistischer Einbezug von schweren Lebensphasen, von Assistenzkonzepten, klugen und autonomieorientierten. Und dies an ganz unterschiedlichen Orten (s. Plan u.), dezentral – immer aber: mittendrin im Leben, bestimmt nicht in einer monokulturellen Altenüberbauung…

Jene Woche im Mai 07 mit ihrem Drumherum hat das Denken und Reden rund ums „Silverhousing“ in Saalfeld gründlich vom Kopf auf die Füsse gestellt: Die aktivierenden Befragungen, die Vorträge, die „spinnerten“ aber faszinierenden und lebendigen Entwürfe der Studierenden haben in dem konservativen Ort in ganz vielen Köpfen Undenkbares denkbar werden lassen. Viele Menschen überlegen ganz konkret, wie Wohnen im Älterwerden ganz anders aussehen könnte. Investoren für Schema-F-Heime haben keine Chance mehr, engagierte Träger mit glaubwürdigen Ideen zum Sozialraum und zur lebendigen Zivilgesellschaft dagegen umso mehr….

dezentrale Visionen

… und diese Woche im Mai 09 war endlich Spatenstich – genau zwei Jahre nach dem studentischen Workshop: Eines der ambitioniertesten Projekte wird Wirklichkeit: Die Verpackungsmittelfabrik (Foto o. und Schwarzplan Nr. 7) wird eben nicht abgerissen sondern zu einem grossen neuen Mittelpunkt und Wohnexperiment – gerade auch für Ältere und jene ohne grossen Geldbeutel. Auf die 25 barrierfreien Wohnungen kommen 135 Interessierte – der pfiffige Geschäftsfüher der AWO muss nun sogar auslosen.

Wenn so aus interdiszplinärer Lehr-Forschung Innovationen entstehen, wenn dadurch Menschen und Gemeinwesen bewegt werden, sich auf neue und zukunftsträchtige Ideen einlassen, ebenso aber auch gemeinwohlorientierte Markt-Akteure – dann sind das für Ulrich Otto Sternstunden anwendungsorientierter Lehre und Forschung. Es ist eine doppelte Lektion, die er an seine neue Wirkungsstätte, die FHS St. Gallen, mitnimmt: Fachübergreifende Zusammenarbeit muss man richtig wollen. Mit ihr experimentieren. Und man muss sie aushalten. Aber dann kann sie sich richtig lohnen, setzt sie Ideen frei, die ohne die Grenzüberschreitung der Disziplinen verdeckt bleiben.

Kein Wunder, dass Otto und einige Kollegen im Kompetenzzentrum Generationen gleich an mehreren Projekten rund ums „Wohnen in allen Lebenslagen“ arbeiten…. immer im Spannungsfeld von Sozialraum und Generationen…. und natürlich: interdisziplinär!

Projekt von Prof. Ulrich Otto, Walter Stamm-Teske

Projekt von Prof. Ulrich Otto, Walter Stamm-Teske