Gesellschaftliche Relevanz des Themas Generationen?
Aufhänger und Ausgangspunkt kann hier gerne ein Schweizer „USP“ (Alleinstellungsmerkmal) sein: Dass der bevorstehende Schweizer „Sozialbericht“ diesmal explizit als „Generationenbericht“ erstattet wird, ist im Prinzip ein hervorragendes Signal: nicht segementierte Politikfelder, nicht das Wegschauen angesichts vielfach auseinanderfallender Generationenkulturen, weder das Schönreden der heilen Familie noch das Starren wie das Kaninchen auf die Altersschlange in Gestalt einer „demografischen Zeitbombe“ oder „Pflegelawine“! Und wohl auch nicht die Abkoppelung eines „vierten“, „fragilen“ Alters von einem „dritten“, das derzeit geradezu häufig als Nicht-Altersphase – so die offensichtlich immer häufigere subjektive Sicht – thematisiert wird. Sondern die Idee, dass Chancen und Risiken der sich schnell verändernden Demografie usw. im Zusammenhang der Generationen gesehen werden müssen. Dass genau hingeschaut werden muss. Und dass hier ebenso viel getan werden kann, aber auch getan werden muss! Wenn dies – zusammen mit den vielen Generationeninitiativen hierzulande – ein Schweizer Signal wird, wäre das international richtungsweisend!
Im folgenden werden vor diesem Hintergrund einige Grundüberzeugungen deutlich gemacht, die zum Teil Begründungen für und teils Ausrichtungen des Kompetenzzentrums Generationen (CCG-FHS) zeigen, wie es an der FHS St. Gallen seit einigen Jahren systematisch ausgebaut wird.
Relevanz für Gesellschaft & Wirtschaft? Für die Region? Für Unternehmen & Organisationen?
Dass ganz viele gesellschaftliche Themen derzeit nur als Generationenthemen begriffen – und angepackt – werden können, wird in ganz vielen Bereichen immer deutlicher gesehen. In der Ökonomie herrscht noch viel zu sehr ein unzutreffendes Defizitbild älterer MitarbeiterInnen vor, es spricht ganz viel dafür, dass etwa KMU hier von einem regionsbezogenen Generationen-Management profitieren könnten, das freilich wirkungsvoll nur aus vielen vernetzten Akteuren bestehen kann und nicht aus dem Einzelunternehmen – und eben auch nicht nur aus Age-Management (z.B. F+E-Projekt RegGen).
Das bringt uns sofort zu einer weiteren zentralen Generationsthematik, der Bildung: lebenslang lernende Organisationen mit lebenslang entwicklungsfähigen lernbereiten Menschen – das ist eine Aufgabe, die wir mit dem FHSG-Leuchtturm Generationen sowohl durch Bildungsangebote, aber auch durch Organisationsberatungs- und Consultingangebote fördern. Life long learning als Querschnittsaufgabe, die – wenn sie ernst genommen wird – nach einhelligen wissenschaftlichen Befunden nicht nur ökonomischen Nutzen sondern auch vielfältigen sozialen Mehrwert bietet.
Zu einem immer drängenderen Generationenthema wird die Pflegebedürftigkeit. Die unlängst veröffentlichte Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums macht klar, dass hier die Aufgaben weiter rasant wachsen. Und manchen Gemeinden und Städten scheint gerade erst durch die neue Pflegefinanzierung klar zu werden, wie sehr sie dies selbst angeht. Ein „mehr Desselben“ – mehr Heime, mehr Spitex usw. – das allein wird es nicht richten. Mit die wertvollste Ressource – aber eben auch verletzlichste und für viele isoliertere Menschen geradezu exklusive Ressource – ist hier die Generationensolidarität, und eben nicht nur die in den Familien. Und mit das wichtigste Lernthema – auch gerade für professionelle DienstleisterInnen – ist nach unserer Überzeugung (im übrigen spannend anschlussfähig an Konzepte unserer Pflegewissenschaft) hier das Paradigma der Koproduktivität in gemeinsamer Wohlfahrtsproduktion und sozialer Unterstützung (vgl. z.B. F+E-Projekt KoAlFa).
Eine „neue Kultur des Helfens“ – oder vielleicht noch besser: Sorgekultur? – geht weit über bisherige Ideen der Versorgungsgesellschaft hinaus – es geht um den besser balancierten welfare mix aller Kategorien mitwirkungsbereiter Menschen, es geht um eine neue Idee des mainstreaming von Partizipation und „Eingemeindung“ – im unmittelbaren Lebensumfeld des Quartiers und Stadtteils. Und um Partizipation und eben diese Eingemeindung auch der sehr vulnerablen Menschen. Der Quartiersbezug wird im CCG nicht zuletzt stark gemacht in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Soziale Räume, das ebenfalls im IFSA angesiedelt ist.
Im CCG arbeiten wir an all diesen Themen auf unterschiedlichen Ebenen – von (oft internationalen und interdisziplinären) Forschungs- und Entwicklungsprojekten und vielfältigen Publikationen über Consultingaktivitäten etwa in kommunalen Alter(n)splanungen resp. Generationenkonzepten bis hin zu studentischen Projekten.
Zentrale Herausforderungen & Kernprobleme?
Rasch wird deutlich: der Grundton der Arbeit des Kompetenzzentrums Generationen ist weder das Schönreden, noch die düstere Zeitdiagnose. Wir finden auf der einen Seite grosse Solidaritätspotenziale, finden Entwicklungen hin zu partnerschaftlichen Formen der Generationenbeziehungen und viele weitere ermutigende Entwicklungen. Wir finden aber auch Phänomene wie wenig nachwuchs, generationelle Segmentierung in den Städten, unverbundene Lifestylewelten, kulturelles Unverständnis u.v.a.m.
Dennoch: Der von vielen so wortgewaltig verkündete „Krieg der Generationen“ – der findet einerseits so nicht statt, andererseits gibt es natürlich eine Menge Generationenkonflikte und auch generationelle Verteilungsungerechtigkeiten. Diese engagiert aufzudecken, da beteiligen wir uns mit genauem wissenschaftlichen Blick. Aber die andere Frage ist doch mindestens so spannend: inwiefern diese Konflikte produktiv gewendet werden können, nicht einfach nur entschärft. Sondern inwiefern aus lebendigem Generationenaustausch wirklich gegenseitige Bereicherung entstehen kann, wie bereicherndes Verstehen durch echte partizipative Mitmach- und Mitgestaltungsmöglichkeiten – für alle Alter! – entstehen kann, und eben nicht nur durch noch mehr erfundene Spezialveranstaltungen für Spezial-Generationenbegegnungen.
Dabei sind es im spannenden Generationenthema ebenso Grundlagen- wie Anwendungsfragen, ebenso Forschungs- wie Entwicklungsthemen, um die es hier geht – im folgenden allein einmal an dem für das CCG sehr zentralen Fokus sozialer Netzwerkbeziehungen verdeutlicht:
- So geht es um Zusammenhalt – was die soziale Welt im Innersten zusammenhält,
- wie der Kitt der Gesellschaft – die sozialen Beziehungen – immer wieder erneuert werden kann,
- welche Bindungskräfte es gibt, wie sie gefördert werden können,
- wie die Begegnung zwischen den Generationen spannend gemacht werden kann – raus aus betulichen verkrampften veranstalteten Formen,
- wie über Begegnung hinaus Austausch innerhalb und zwischen den Generationen Nahrung erhält, gute Rahmenbedingungen, vielleicht auch Anschub. Und Austausch wird dabei weit verstanden von Kommunikation über div. Solidaritätsformen bis hin zu Care-Aktivitäten.
Schon an diesem eingegrenzten Fokus wird deutlich, dass „die Generationenthematik“ ein grosses dynamisches Feld darstellt – mitten in der Gesellschaft. Und mit Sicherheit zentral unter den Zukunftsthemen der Gesellschaft.
Warum hat die FHS St. Gallen einen Leuchtturm dazu?
- Weil die Herausforderung so gross ist. Die Herausforderung ist so gross, weil es ein Megathema ist, mitten drin in allen Zentralbereichen der Gesellschaft – Familie, Wirtschaft, Schule, Städte und Gemeinden Diese Aufgaben sind nur im Konzert aller innovativer Kräfte aus allen Disziplinen und Erfahrungsbereichen zu stemmen.
- Aber genau hier ist auch unser möglicher Beitrag gross: Wir – also die Bildung und die angewandte Wissenschaft – haben dabei eine ganz zentrale Rolle für Innovationen, für neues Denken, das überall gefragt ist, wir entwickeln an ganz vielen Stellen Konzepte mit, auch Visionen. Querdenken und interdisziplinäre Kooperation sind dabei im Kern dabei.
- Diese braucht es wiederum, weil der Druck so gross ist – an vielen Stellen ist die Sache durchaus dramatischer, als auch manche Profis und Teile der Öffentlichkeit es wahrhaben wollen: wenn nicht heute massiv umgesteuert wird – etwa in lebensraumorientierte und nicht nur versorgungspolitische Konzepte –, fehlen in 10 oder 20 Jahren die dringend nötigen sozialen Grundlagen des Gemeinwesens, des Sozialstaats.
- Zugleich sind die Chancen gross – vor allem wenn wir sie rasch und entschieden ergreifen! So sind wir ganz nah dran an ganz vielen best-practice-Beispielen, auch international – und verstehen uns hier auch als Transmissionsriemen.
- Schliesslich ist der Aufklärungsbedarf riesig. Deshalb „erden“ wir gleichzeitig die innovativen Ideen, die auch von uns vorgeschlagenen Experimente, immer in einem dynamischen Zirkel systematisch „durch den wissenschaftlichen Zweifel“: durch der Frage, ob die Erwartungen auch eingelöst werden können, wo negative externe Effekte auftreten oder die sprichwörtlichen „unerwünschten Nebenfolgen“.
Spannende Beispiele für Forschungsprojekte?
Da sollen nur ein paar Beispiele genügen, die alle zeigen, wie wichtig, wie faszinierend und wie anspruchsvoll das Credo „Generationenperspektive“ ist:
- Der Lebenslauf gerät in den Blick, wenn etwa in einem DORE-Projekt zu Pflegekindern gefragt wird, was die Pflegeeltern zur Bewältigung von Statuspassagen im biografischen Verlauf beitragen.
- In einem binationalen F+E-Projekt „InnoWo“ eht es um das Thema „zuhause wohnen bleiben bis zuletzt“ – die systematische Suche danach, wie es gelingen kann, dass selbst stark Demenzerkrankte ohne eigenes soziales Netz bis zuletzt in der eigenen Häuslichkeit verbleiben können und auch nicht mit beim Oberschenkelhalsbruch am Heiligabend ins Heim müssen.
- Dazu passt ein weiteres Doppel-Projekt: nach einem jahrelangen ziemlich perfekten Ausbau der sozialen Dienste wird in einer grösseren Stadt systematisch versucht, den Wechsel „von der Versorgungs- zur Mitwirkungsgesellschaft“ einzuleiten und auszuloten, wie sich alle Generationen der Quartierbevölkerung, Verwaltung, Dienste und Politik dabei einbringen.Verknüpft wird hier ein Quartiersprojekt mit der Neuausrichtung der Strategie der Alter(n)splanung.
- Und in Projekten zu generationenübergreifendem Wohnen sehen wir eine Art Experimentallabor für zukunftsträchtige Vergemeinschaftungsformen, mitten drin in der Gesellschaft. Wir suchen dabei ebenso nach einer Art Hebammenstruktur für diese oft „schweren Geburten“ (Projekt einer Förderagentur für innovatives Wohnen) wie wir sie gründlich wissenschaftlich untersuchen – am besten teilweise in Formen, die selbst noch als Stärkung erlebt werden.
- In gleich mehreren Projektvorhaben steht schliesslich ganz aktuell das Thema Ambient Assisted Living auf der Tagesordnung – die technikunterstützte Lebenswelt für ein längeres autonomes Leben Älterer. Anders als in immer noch vielen sehr technikorientierten AAL-Projekten versuchen wir dabei Assistenz integrierter neu ausbuchstabieren, partizipativ, lebensweltgebunden, im Verein mit sozialer Assistenz.
Wir halten es für eine sehr zukunftsträchtige Perspektive: den interdisziplinären Blick einer Generationenperspektive auf integrierte Phänomene, und hier immer wieder auf deren lokale und sozialräumliche Gestalt und Entwicklungsmöglichkeiten. In immer mehr Projekten beteiligen wir uns daran, entsprechende nachhaltige Konzepte und Modelle in die Tat umzusetzen und zu erproben. Und wissenschaftlich können wir immer eindrucksvoller belegen, wie sehr sich die Investition in tragfähige Generationenverhältnisse lohnt!