Altersdiskriminierung drückt sich im Sprachgebrauch aus. Sprache beschreibt, wie wir denken. Aber Sprache schafft auch Wirklichkeiten: Dies einige Erkenntnisse, die Referentinnen und Referenten am Gerontologie Symposium 2019 der Pro Senectute einem interessierten Publikum vermittelten. Martin Müller vom Institut für Soziale Arbeit und Räume war dabei und hat die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst:
Auch wenn Altersdiskriminierung medial nicht besonders präsent ist: die Betroffenen spüren sie sehr wohl. So berichtete Christian Maggiori im Eingangsreferat, dass in einer repräsentativen Studie im EU-Raum 34% der Befragten angaben, schon einmal wegen ihres Alters benachteiligt gewesen zu sein. Im Vergleich dazu sind Sexismus mit 19% und Rassismus mit 14% weit weniger verbreitet. Altersdiskriminierung zieht keine rechtlichen oder gesellschaftlichen Sanktionen nach sich, obwohl sie für die Betroffenen schwere psychische und physische Folgen haben kann. Nachgewiesen wurden gemäss Maggiori Korrelationen zwischen Diskriminierung und kardio-vaskulären Reaktionen sowie Gedächtnisverlust, sozialer Rückzug und verkürzte Lebenswerwartung. Als wichtigste Gründe gelten kulturelle Bilder vom Alter, die Überbetonung von Leistungsfähigkeit und Innovationskraft gegenüber Erfahrung oder Tradition im modernen Wirtschaftsparadigma sowie unhinterfragte Routinen und Praktiken.
Kathastrophen-Metaphern und Patronisierung
Die Sprachwissenschafterin Caroline Krüger aus Rostock hat den Sprachgebrauch grosser Zeitungen in Deutschland untersucht, wenn diese über Altern und Alte schreiben. Sie zeigte auf, welche unterschiedlichen Formen Diskriminierung annehmen kann. Besonders üble, aber offensichtliche Formen sind Katastrophenmetaphern wie „Rentnerschwemme“ und ähnliche. Aber auch in der Vermeidung („Senioren“ oder „ältere“ statt alte Menschen) drückt sich aus, dass mit „alt“ vorwiegend Negatives konnotiert wird. Eine u.a. in der Pflege verbreitete, weil oft besonders unbewusste Form, ist die Patronisierung. Sie drückt sich in Sätzen wie „Jetzt heben wir mal das Ärmchen“ aus oder in unangemessenen Berührungen, die man normalerweise bei Erwachsenen unterlassen würde. Aber auch wenn geklagt wird, alte Menschen würden „ins Heim abgeschoben“, tut man ihnen damit keinen Dienst. Man macht sie durch solche Formulierungen zu Objekten ohne eigenen Willen, zu bloss Erleidenden, Opfern.
„DAS Alter existiert nicht“
In einem engagierten Schlussreferat räumte Markus Zürcher von der Schweizerischen Akademie der Sozial- und Geisteswisssenschaften mit einigen gängigen Vorurteilen auf. Z.B. dass das Phantom der „Überalterung“ in Wirklichkeit ein Problem der ungenügenden Reproduktion ist, weil eben dafür zu wenig gesellschaftliche Ressourcen aufgewendet werden. „DAS Alter existiert nicht, deshalb kann es auch neu gedacht werden!“ rief Zürcher das Publikum auf. Statt via finanzieller Umverteilung den riesigen Kapitalstock weiter zu äufnen, sollte bspw. mit dem Dual-Carer-Modell dafür gesorgt werden, dass für Care-Arbeit mehr personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Wohlbefinden müsse Leitwert der Gesundheitsversorgung werden, anstatt dass weiterhin ein grosser Teil der medizinischen Ressourcen in Eingriffe mit zweifelhaftem Wert für die Lebensqualität in der letzten Phase gesteckt werde. Es sei fragwürdig, so Zürcher, dass die letzten 6 Monate im Durchschnitt 30’000 Franken kosteten während an Schweizer Universitäten ganze 2 Lehrstühle für palliative Care existierten. So wie frühere Generationen mit Eisenbahnbau und Autobahnen viel investiert hatten in die Mobilität, brauche es heute Investitionenin eine alternsfreundliche Umwelt statt Kostenbremsen.
Text: Martin Müller