Studierende der FHS St.Gallen laden ein zum Gespräch über die Stadt Rorschach
Nach Abschluss der fünfteiligen Reihe „Stadt als Bühne“ (FHS St.Gallen) folgt kommenden Dienstag die angekündigte Fortsetzung: Die neue Reihe heisst „Stadt als Gespräch“, deren erste Folge „Fragen an eine Stadt“.
Rorschacher Marktplatz, Donnerstagnachmittag, kurz nach 15 Uhr. 60 Studierende der FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, haben ihren Arbeitsplatz kurzerhand ins Stadtzentrum verlegt, um sich mit einer Geschichte aus „1001 Nacht“ zu beschäftigen, die den meisten aus ihrer Kindheit bekannt ist: Die Legenden um Harun al Raschid, Kalif von Bagdad, der seinen Palast regelmässig verliess, sich als einfacher Mann verkleidet auf den Basaren und Strassen der Stadt unters Volk mischte, um deren Ansichten und Sorgen kennen zu lernen.
Geschichten-Stau
Im Halbkreis haben sich die angehenden Fachleute Sozialer Arbeit mit ihren Stühlen aufgereiht und auf eine Chaise longue, ein purpurrotes Erzähl-Sofa im Rokoko-Stil ausgerichtet, in deren Hintergrund die Kulisse des Kornhauses erkennbar ist. Die Funktion als Ort der Geschichten hat der Marktplatz in unseren Breitengraden längst verloren, und mit ihr auch eine gelebte Erzählkultur mitten im öffentlichen Raum. Immer mehr Menschen leiden unter einem Geschichtenstau, an dem sie regelrecht zu ersticken drohen. In Ermangelung guter Zuhörerinnen und Zuhörer bleibt manch einem die eigene Geschichte im Halse stecken.
Stadt-Sofas
Dieses gesellschaftliche Phänomen dient „Stadt als Gespräch“ – der neuen Reihe nach „Stadt als Bühne“ (2005-2007) – als Ausgangspunkt. In Zusammenarbeit mit Studierenden der FHS St.Gallen laden Selina Ingold und Mark Riklin die Bevölkerung ein, am Dienstagmittag des 18. März auf einem Stadt-Sofa Platz zu nehmen, über Rorschach und die Welt ins Gespräch zu kommen und der „alten Dame“ auf den Zahn zu fühlen: Was ist das für eine Stadt? Wie fühlt sie sich an, was macht sie in ihrem Innersten aus? Was beschäftigt sie und deren Bürgerschaft? Und wohin gedenkt sie, in naher Zukunft zu steuern?
Offener Horizont
Für „Fragen an eine Stadt“, die erste Folge der Reihe „Stadt als Gespräch“, konnte Historiker Louis Specker als Mentor gewonnen werden. Umringt von Tausenden Büchern berichtet Specker in seiner privaten Bibliothek über Geschichte und Gegenwart der Stadt Rorschach, die auf der Suche nach einer neuen Identität sei. Die Hochblüte als Industriestadt sei längst vorbei, die zukünftige Ausrichtung noch in der Schwebe. Eines aber müsse unbedingt erhalten bleiben, betont Specker: die Offenheit einer Stadt, die für wirtschaftliche Entwicklungen und für andere Kulturen immer zugänglich und deren Blick nie durch eine Mauer versperrt gewesen sei. „Weitblick und offener Horizont haben die Menschen am See emotional geprägt wie kaum etwas anderes“, sagt Louis Specker.
Herold
Kommenden Dienstag nun soll auf dem Marktplatz eine verloren gegangene Kulturtechnik des Erzählens und Zuhörens – zumindest symbolisch – wieder aufgelebt werden. Auf sieben Sofas aus dem Fundus des Theater St.Gallen sitzen um 12 Uhr Studierende der Sozialen Arbeit, um bereitwilligen Erzählerinnen und Erzählern ihr Ohr zu leihen. Fragen, auf die es keine schnellen oder einfachen Antworten gibt, sollen von einem Herold öffentlich ausgerufen und danach in einem Fragebogen versammelt werden, der im besten Falle als Poster an städtischen Klotüren hängt und zum Nachdenken über Gegenwart und zukünftige Ausrichtung der Stadt anregt. (pd)
Text: Mark Riklin
Bild: Andres Krähenbühl
Box: Aufsuchende Öffentlichkeitsarbeit
„Fragen an eine Stadt“ findet im Rahmen eines Medienseminars der FHS St.Gallen statt, in dessen Verlauf Ereignis- und Medienproduktion im realen Raum erprobt wird. Statt sie nur mit Theorie zu überhäufen, schicken die Dozierenden Mark Riklin und Selina Ingold die angehenden Fachleute Sozialer Arbeit auf die Strasse und lassen sie praktische Erfahrungen dahingehend sammeln, was es heisst, Anlässe auf die Beine zu stellen und diese mit professioneller Medienarbeit bekannt zu machen. Dabei soll das Prinzip aufsuchender Sozialarbeit auf eine aufsuchende, im Sozialraum verortete Öffentlichkeitsarbeit übertragen werden.