Was ist kommunale Identität? Und wie können Gemeinden erreichen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Wohnort verbunden fühlen und sich engagieren? Über diese und weitere Fragen diskutierten an der sechsten Ostschweizer Gemeindetagung rund 60 Exekutivmitglieder. Dazu eingeladen hatte das Ostschweizer Zentrum für Gemeinden der Fachhochschule St.Gallen.
Im kommenden Jahr startet an der FHS St.Gallen ein neues Forschungsprojekt zur Erhebung der kommunalen Identität. Worum es dabei geht und wie sich die Gemeinden für das Projekt bewerben können, darüber informierte Sara Kurmann, Politologin und Leiterin des Ostschweizer Zentrums für Gemeinden, an der sechsten Ostschweizer Gemeindetagung. Für Gemeinden würden in Zeiten der Globalisierung und zunehmender Mobilität weiche Standortfaktoren immer wichtiger, sagte Kurmann. Als harte Faktoren gelten beispielsweise Steuern oder Baulandreserven, als weiche Faktoren die Lebensqualität oder eben die kommunale Identität. In einem ersten Projektschritt geht es um die Erhebung der Innen- und Aussenzuschreibungen einer Gemeinde. Dabei gilt es zu überprüfen, mit welchen Bildern und Symbolen die Gemeinden in Verbindung gebracht werden und ob diese Wahrnehmung damit übereinstimmt, wie sich die Gemeinden präsentieren wollen. Je mehr sich die innere und die äussere Sicht decken, desto besser kann man laut Kurmann von einer Gemeinde mit einer starken Identität sprechen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wird gemeinsam mit Partnergemeinden oder Partnerregionen ein Tool erarbeitet, mit dem die ortsbezogene Identität gemessen und abgebildet werden kann.
Partizipative Einbindung
Darauf, was regionale respektive kommunale Identität überhaupt bedeutet, ging Marc Bühlmann, Politikwissenschafter an der Universität Bern, in seinem Referat «Von der Gemeinschaft zur Gesellschaft – Wandel und Ursachen kommunaler Identität» ein. Kommunale Identität entstehe durch das Gefühl der Verbundenheit in einer Gemeinde, sagte er. Dieses könne geografisch, emotional oder sozial begründet sein. Je stärker sich jemand mit einer Gemeinde verbunden fühle, desto grösser sei dessen soziales sowie politisches Engagement. Problematisch ist laut Bühlmann dabei allerdings, dass sich mittlerweile nicht einmal mehr ein Fünftel aller Bürgerinnen und Bürger mit der Gemeinde verbunden fühlt. Die Folgen davon: Das Vereinsleben wird geschwächt, die Bereitschaft zu Freiwilligenarbeit nimmt ab, es gibt weniger Nachbarschaftshilfe sowie kaum noch ausreichend Bewerberinnen und Bewerber für die Exekutivämter. Dies sei eine ungünstige Entwicklung für die Demokratie. Denn diese funktioniere nur, wenn es eine Auswahl an Kandidaten mit verschiedenen politischen Positionen gebe. Die Gemeinden müssten daher Anreize für die Entwicklung kommunaler Identität schaffen, etwa indem sie einen liberal-partizipatorischen Ansatz verfolgten. Konkret bedeutet das, dass in den Gemeinden partizipative Strukturen geschaffen, öffentliche Foren eingeführt und die Bürgerinnen und Bürger stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Man könne ihnen beispielsweise ein Budget für ihr Quartier zur Verfügung stellen, das sie selbst verwalten können, so Bühlmann.
Neun Gemeinden, ein Verein
Wie sich die kommunale Identität nicht nur von einzelnen Gemeinden, sondern von einer ganzen Region stärken lässt, darüber referierte Katja Breitenmoser vom Verein Appenzellerland über dem Bodensee (AüB). Dieser wird von den neun Gemeinden Grub, Heiden, Lutzenberg, Oberegg, Rehetobel, Reute, Wald, Walzenhausen und Wolfhalden getragen. In dieser Region leben 15’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Verein hat jüngst das Projekt «Lebenswert» initiiert. Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Politik zu fördern. Es seien innovative Lösungen gefordert, um den Folgen der gesteigerten individuellen Mobilität entgegenzuwirken, sagte Breitenmoser. Denn das wirtschaftliche und kulturelle Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner verlagere sich zunehmend in die Stadt. Bisher hat der Verein zwei Dialogabende mit 30 Teilnehmenden organisiert, um zu spüren, was das Leben im Appenzellerland über dem Bodensee auszeichnet und besonders macht. In einem nächsten Schritt werden die Ergebnisse nun ausgewertet und Arbeitsgruppen gebildet.
Coachings und Innovation
Einen Schritt weiter als im Appenzellerland über dem Bodensee ist man derweil in Zofingen im Aargau. Markus Müller, Change-Management-Experte und Gründer der Coachingfirma SOULWORXX, zeigte auf, wie es gelungen ist, Zofingen und die umliegenden Gemeinden als Zofingenregio zu vermarkten. Sein Fazit: Statt an veralteten Marketingstrategien festzuhalten, brauche es innovative Ansätze und eine Berücksichtigung der Innensicht. Darin begründe sich die Zukunft der Gemeinden, so Müller.