Nach zweieinhalb Jahren Laufzeit kommt das Forschungsprojekt «Gemeinschaftlich ausbauen und wohnen – neue Wohnkonzepte in der Schweiz» zum Abschluss. Beforscht wurden schweizweit neue Wohnkonzepte, bei denen die Bewohner:innen die gemieteten Räume selbst ausbauen und dann zumeist gemeinschaftlich bewohnen. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sind in einer praxisnahen Publikation in Form von Fragen und Antworten für Interessierte verfügbar.
Im Rahmen des Forschungsprojekts konnten wir das «Hallenwohnen» im Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich, das «Selbstausbauloft» im Holligerhof 8 der Genossenschaft Warmbächli in Bern sowie die «Rohbaueinheiten zur Wohn- und Ateliernutzung» der sich noch im Bau befindenden vierten Siedlung der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 im künftigen Koch-Quartier in Zürich vergleichend untersuchen. Den drei Wohnkonzepten gemeinsam ist, dass die Genossenschaften die Wohneinheiten im Edelrohbau vermieten, also nicht fertig ausgebaut, und der Innenausbau den Bewohner:innen zum Selbstausbau überlassen wird.
Gefördert wurde das Forschungsprojekt durch das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO), der Stiftung Solidaritätsfonds der Wohnbaugenossenschaften Schweiz, dem Finanzdepartement der Stadt Zürich, Migros-Kulturprozent sowie der Senn Resources AG.
Übersicht wichtigste Erkenntnisse
Im Folgenden sind einige wichtige Ergebnisse des Forschungsprojektes aufgeführt unter der Berücksichtigung der drei untersuchten Hauptperspektiven: Die Perspektive der Trägerschaften, die Perspektive der Bewohner:innen und die Perspektive der Architekt:innen.
Aus Sicht der Trägerschaften sind Wohnkonzepte, die Selbstausbau und Gemeinschaft vereinen, als politisch, rechtlich, finanziell, baulich-planerisch und als sozial komplex und anspruchsvoll einzuschätzen. Dementsprechend braucht es für die Umsetzung solcher Wohnkonzepte vor allem eines: den konsequenten Willen zum Experiment.
Die Bewohner:innen setzen die untersuchten Wohnkonzepte ganz unterschiedlich um. Die Wohnflächen der fünf untersuchten Wohneinheiten im Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich und im Holligerhof 8 der Genossenschaft Warmbächli in Bern variieren zwischen 34 und 280 Quadratmetern. Die Anzahl der Bewohner:innen pro Wohneinheit reichen von einer bis 18 Personen. Diese sind zum Befragungszeitpunkt zwischen drei und knapp 60 Jahre alt. Dementsprechend unterschiedlich sind die Haushaltszusammensetzungen. Vielfältig sind auch die zeitlichen Perspektiven: Für die einen ist es ein langfristiges Einrichten, für andere klar begrenzt auf eine Lebensphase. Trotz dieser Vielfalt in der Bewohnerschaft zeigt sich eine relative milieubezogene Homogenität: Die Bewohner:innen sind eher ressourcenstark, das heisst sie sind finanziell so ausgestattet und ideell so ausgerichtet, dass sie die Zeit für den Selbstausbau und die sozialen Prozesse investieren können und wollen. Ausserdem können sie auf soziale Beziehungen und soziale Kompetenzen zurückgreifen.
Die Rolle der involvierten Architekt:innen ist in mehrfacher Hinsicht besonders: Denn einerseits treten sie als Fachpersonen in den Hintergrund und überlassen das Feld des Planens und Bauens ein Stück weit den Bewohner:innen. Aber andererseits wird ihnen auch etwas abverlangt, was das Selbstverständnis als Architekt:innen betrifft.
Auf Basis unserer Erkenntnisse aus dem Forschungsprozess schätzen wir ein, dass es eine Zukunft gibt für Wohnkonzepte, die Selbstausbau und Gemeinschaft vereinen. Wir attestieren solchen Wohnkonzepten ein gewisses Potenzial, sich zu verbreiten. Gleichwohl werden sie in der untersuchten Form in absehbarer Zeit keine Wohnkonzepte für die Massen werden, einerseits weil ein eher geringer Teil der Bevölkerung so wohnen will und kann, andererseits weil es (noch) so viele Trägerschaften gibt, welche die Voraussetzungen für die Umsetzung mitbringen, etwa das nötige Selbstverständnis und die nötige Risikobereitschaft.
Lohnenswert erscheint es jedenfalls, spezifische Aspekte der Wohnkonzepte auf ihre Übertragbarkeit auf andere Kontexte hin zu prüfen. Insbesondere das Potenzial des Selbstausbaus sollte hinsichtlich anderer Wohnungstypen und Zielgruppen sorgfältig ausgelotet werden. Aspekte des Selbstausbaus könnten beispielsweise unterstützen, dass Wohnräume flexibler an sich verändernde Bedürfnisse angepasst werden können, zum Beispiel wenn sich Familienkonstellationen verändern.
Ausserdem könnten derartige Wohnkonzepte auch für Zwischennutzungen oder Umnutzungen von Gewerbebauten in Wohnbauten verwendet werden oder ganz allgemein, wenn es darum geht, im Bestand zu bauen. Gleichwohl diese Wohnkonzepte sowohl im Bestand wie auch im Neubau umgesetzt werden können.
Die Publikation «Gemeinschaftlich ausbauen und wohnen: 30 Fragen für die Praxis», die aus dem Forschungsprojekt entstanden ist, versteht sich als Beitrag zur gelingenden Umsetzung künftiger vergleichbarer Wohnkonzepte. In der Publikation wurden die Perspektiven unterschiedlicher Akteur:innen berücksichtigt und entlang dreier Themen strukturiert: (1) Die Wohnkonzepte konzipieren, regulieren und verwalten, (2) Die Wohnkonzepte planen, bauen und weiterentwickeln und (3) Einziehen, wohnen und zusammenleben in den Wohnkonzepten. Neben den Perspektiven der Trägerschaften, der (zukünftigen) Bewohner:innen sowie der Perspektive der Architekt:innen kommen in der Publikation auch die Perspektiven von Fachpersonen aus den Bereichen Wohnraum- /Wohnbauförderung, Baurecht, private Immobilienwirtschaft, Genossenschaftswesen, Genossenschaftsforschung sowie der Architektur- und Planungssoziologie zum Ausdruck.
Die praxisnahe Publikation kann auf der Webseite des BWOs heruntergeladen werden. Eine Zusammenfassung der Publikation steht auf Deutsch und auf Französisch bereit. Im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt ist zudem ein Kurzfilm entstanden, der einen Einblick in die Ergebnisse bietet.
Für Rückfragen stehen Ihnen Nicola Hilti und Luana Massaro gerne zur Verfügung.