Poesie der Bahnschranken


Fotograf: Christoph Mosimann

Es ist ein ungewohnter Anblick, der sich den Gästen der Seepromenade bietet: Die schmale Hafenmauer füllt sich am Dienstag, 17. März 2009, nachmittags, mit 60 Studierenden der FHS St.Gallen und einem vierköpfigen Adhoc-Einwohnerrat der Stadt Rorschach. Ausgerüstet mit Requisiten und Schildern haben sich die Akteure der Fachhochschule hierher auf den Weg gemacht und nehmen nun auf Gartenstühlen beim Leuchtturm Platz. Es ist die erste von drei Bühnen, auf welcher visionäre Bilder für die Stadt beschrieben werden.

Fundstücke
Tourismus Rorschach beschreibt etwa die Stadt als „südlichste Bucht“ und auf einer Begrüssungstafel wird diese als „Gastliche Hafenstadt“ angepriesen. Rorschach besitzt zudem den Ruf der „Stadt der vielen Bahnschranken“. Die Studierenden haben diese Fundstücke untersucht und sich der Frage gewidmet, wie mit diesen der Stadt zu Einmaligkeit und Attraktivität verholfen werden könnte. Gemäss diesen Fundstücken bauen die Studierenden auf einem Gedankengang drei Bühnen und präsentieren ihre Ideen einem Adhoc-Einwohnerrat.

Mekka der Strassenkünstler

Die südlichste Bucht des Bodensees stellt sich die erste Gruppe der Studierenden als Mekka der Strassenkünstler vor. Sie zeichnen das Bild einer lebendigen Seepromenade, einen Ort der Begegnung, der Unterhaltung, des Spieles und Spasses. Musik liegt in der Luft und der Duft kulinarischer Köstlichkeiten. Mensch und Wasser, so meinen sie, sollen sich wieder näher kommen. Sie plädieren dafür, einen Teil der Hafenmauern durch einen Sandstrand zu ersetzen, der auch das Material für das alljährliche Sandskulpturenfestival hergeben würde.

Verweilen und geniessen
Einen begehbaren, dreidimensionalen Stadtplan auf dem Marktplatz, Führungen auf Knopfdruck in gewünschter Fremdsprache durch entsprechende Einwohner, diese Visionen stellt eine weitere Gruppe Studierender am Hafenbahnhof vor. Sie sind überzeugt davon, dass ein futuristischer Turm mit Sehenswürdigkeiten ein Publikumsmagnet werden könnte. Sitzgelegenheiten, Liegen und Hängematten im öffentlichen Raum sollen den willkommenen Gast zum Verweilen und Geniessen einladen.

Positive Bahnschranken
Dem zweifelhaften Ruf der „Stadt der Bahnschranken“ hat sich eine dritte Gruppe der Studierenden verschrieben. In Form eines originellen Poetry Slams an einer der berühmt berüchtigten Barrieren der Stadt fragen sie sich, ob sich das als lästig empfundene Warten umdeuten liesse. Modern und eingängig könnte der Name „Slow City“ das bisher negative Image der Bahnschranken ersetzen. Das Warten vor den Schranken, so meinen sie, ist in unserer schnelllebigen Zeit geschenkte Zeit. Diese liesse sich bewusst zum Innehalten nutzen. „Die Stelle an der Barriere könnte auch ein Kommunikationspunkt sein“, so Dozent Mark Riklin. Durch einen Namen könnte jeder Schranke eine Identität gegeben werden, eine Besonderheit, die zu einem bewussten Besuch einlädt. Und wenn nicht hier, wo sonst könnte der Lärm des vorbeifahrenden Zuges die Wartenden zu dem befreienden Schrei des Tages animieren?

Rohdiamant
Im Restaurant Rheinfels treffen sich Studierende und der Einwohnerrat für ein Resümee dieser Aktion. Begeistert nimmt der Einwohnerrat den Faden auf, und spinnt ihn lustvoll weiter. Sie freuen sich, dass auch auswärtige Studierende das Potenzial ihrer Stadt erkennen und bezeichnen diese als Rohdiamanten, der lediglich geschliffen werden muss. Ein Vertreter meint, dass die Ideen als Marketingchancen wahrgenommen und die Stadt ein begehrtes Ausflugsziel werden könnte. Mehr Begegnungsräume für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen, wünscht sich ein weiterer. Die Hafenansicht der Stadt ist ihnen ebenfalls ein Anliegen, das berücksichtigt werden sollte. Mehr Natur in die Stadt, offen gelegte Bäche, Flächen für Flora und Fauna, fordert ein dritter Bewohner. Die Lust zum Aufbruch, zur Veränderung, ist spürbar in der Äusserung eines Vertreters: „Ich möchte irgendwann mit einem inneren Lächeln durch diese Stadt gehen und habe nun ein Kribbeln im Bauch, weil ich spüre, dass es wahr werden könnte, wenn ich alle diese Ideen höre“, meint Stephan Kuntz.

Hildegard Brusa