Hoffnung auf den Markt?

Nächste Woche treffen sich Experten aus dem Sozialbereich in Nürnberg zur grössten deutschsprachigen Fachmesse für den Sozialmarkt ConSozial. Reto Eugster, Leiter des Weiterbildungszentrum Soziale Arbeit IFSA und Co-Leiter des Instituts für Soziale Arbeit der FHS St.Gallen in Rorschach, nimmt Stellung zum aktuellen ConSozial-Motto „Märkte für Menschen: verantworten – gestalten – selbst bestimmen“.

Esther Federspiel: Die diesjährige Fachmesse für den Sozialmarkt in Deutschland steht unter dem Motto „Märkte für Menschen: verantworten – gestalten – selbst bestimmen“. Was bedeuten diese Schlagworte in Zeiten der Wirtschaftskrise?
Reto Eugster: Ich verstehe die Consozial, die „Fachmesse für den Sozialmarkt“, als Plattform für den Austausch zwischen Fachkräften der Sozialen Arbeit. Zahlreiche inspirierende Kontakte konnte ich in den letzten Jahren im Rahmen der Consozial knüpfen. Das Motto der diesjährigen Veranstaltung halte ich allerdings für wenig ergiebig. Es käme darauf an Märkte in ihrem eigenlogischen Potenzial zu verstehen. Gerade die Wirtschaftskrise hat uns gezeigt, wie absurd es ist, von Märkten Berechenbarkeit im Sinne der Gestaltbarkeit zu erwarten. Vermutlich geht es eher um Rahmenbedingungen und Rahmensetzungen bei der Generierung von Marktverhältnissen, speziell im Sozialwesen.

Esther Federspiel: Was bedeuten Marktmechanismen im sozialen Sektor?
Reto Eugster: Die Rede vom Markt ist im Sozialwesen geläufig geworden. Sie ist die Folge der fortgeschrittenen Eingemeindung ökonomischer Schlagworte in die Sprache des Sozialwesens. Zu leichtfertig werden Begriffe wie Klient und Kunde oder Organisation und Unternehmen als Synonyme behandelt. Akteure, die mehr Markt fordern, und ihre Gegenspieler, die Markt im Sozialwesen für prinzipiell problematisch halten, sind sich allerdings einig: Das Sozialwesen ist nur punktuell durch das „freie Spiel von Angebot und Nachfrage“ geprägt. Was die einen bedauern, begrüssen die anderen. Bei der Diagnose einer weitreichenden Marktferne hingegen sind sich beide Seiten einig.

Esther Federspiel: Was kennzeichnet die Situation im Sozialwesen?
Reto Eugster: Gekennzeichnet ist das Sozialwesen durch unterschiedliche Steuerungslogiken: Auf der einen Seite die politische Steuerung mit ihrem hohen Legitimationsbedarf. Auf der anderen Seite ökonomisierte Anforderungen, die mit Labels wie Effizienz und Effektivität gekennzeichnet sind. Wer diese Doppelsteuerungslogik des Sozialwesens nicht versteht, hat als Führungskraft wenig Chancen, den Alltagsanforderungen gerecht zu werden.

Esther Federspiel: Gibt es eine Möglichkeit dieses Spannungsfeld im Berufsalltag unter einen Hut zu bringen?
Reto Eugster: Auf jeden Fall. Fachkräfte der Sozialen Arbeit verfügen genau für diese Doppelsteuerungslogik über Spezialwissen. Erfahrene Führungskräfte erleben täglich, dass dieses Spannungsfeld konstitutiv für Soziale Arbeit ist und zeigen, dass sie in der Lage sind, damit umzugehen.

Esther Federspiel: Kann ich mir diese Kompetenzen in einer Weiterbildung aneignen?
Reto Eugster: Unser Masterstudium ist an dieser Doppelsteuerungslogik ausgerichtet. Sozialpolitik und ökonomische Logik: Im Masterstudium werden Themen grundsätzlich vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes thematisiert, z. B. Konfliktmanagement, Ressourcensteuerung, Controlling, Spendenmarketing usw. Anders ausgedrückt: Ziel der Weiterbildung kann nicht sein, Fachkräfte der Sozialen Arbeit mit Management-Know-How aus- und aufzurüsten. Entscheidend ist es, Fachkräfte zu befähigen, im Irritationsfeld unterschiedlicher Logiken zu agieren. Beispielsweise: Wie werden Kosten bewertet, die durch „ineffiziente“, jedoch unverzichtbare, Legitimationsleistungen zugunsten politischer Trägerschaften entstehen? Welche Strategien sind erfolgreich, um Spendengelder zu akquirieren, und zwar vor dem Hintergrund einer Basissubventionierung? Was bedeutet es, Ansprüche an „Professionalität“ bzw. „Professionalisierung“ angesichts politischer und ökonomischer Inanspruchnahmen durchzusetzen?