Herr Z. verlor nach einem Besitzerwechsel seine Arbeitsstelle. Kurz darauf wurde bei ihm eine Krebserkrankung diagnostiziert. Als nicht mehr vermittelbar wurde er aus der Arbeitslosenversicherung (AlV) ausgesteuert. Nach Therapien und einem langen IV-Verfahren wurde Herr Z. als zu 75% arbeitsfähig eingestuft und erhielt deshalb keine Rente. Inzwischen war die Rahmenfrist der AlV abgelaufen, Herr Z. fand den Einstieg in die Arbeitswelt nicht mehr. Er lebte mit seiner Frau von deren Einkommen als Hilfskraft und ausbezahlten Freizügigkeitsleistungen der Pensionskasse. Weil er mit 63 Jahren in Pension ging, ist seine AHV-Rente stark gekürzt. Aus finanziellen Gründen verzichtet er immer wieder auf medizinische Behandlungen, Zahnarzt und gesundheitserhaltende Massnahmen.
Internationale Forschungsergebnisse zeigen, dass Herr Z. kein Einzelfall ist. Die wenigen Studien aus der Schweiz sowie Expertenbefragungen der OST – Ostschweizer Fachhochschule weisen darauf hin, dass auch hierzulande viele Krebskranke hohen finanziellen Risiken ausgesetzt sind. Es ist davon auszugehen, dass neben strukturellen Bedingungen des Sicherungssystems komplexe Wechselwirkungen zwischen privatem Vorsorgeverhalten, Gesundheitszustand, beruflicher und familiärer Situation sowie finanzieller Lage dafür verantwortlich sind. Diese machen es sowohl Betroffenen als auch Fachpersonen schwierig bis unmöglich, verzögerte Folgen einzelner Entscheidungen abzuschätzen. In der Phase der Diagnostik und Therapie steht bei den Betroffenen und den Gesundheitsfachpersonen das Überleben im Vordergrund. Spätere finanzielle Risiken spielen dabei keine oder eine untergeordnete Rolle und werden deshalb zu spät erkannt oder unterschätzt.
An der 4. Nationalen Tagung Gesundheit und Armut, die heute am 21. Januar 2021 online stattfindet, gestalten Martin Müller (IFSAR) und Eleonore Arrer (IPW) einen Workshop zu diesem Thema. Das interdisziplinäre OST-Forschungsprojekt «Gesundheitsrisiko Geld – Sozioökonomische Auswirkungen einer Krebserkrankung» entwickelt zusammen mit Betroffenen sowie Expertinnen und Experten aus der Praxis ein systemdynamisches Modell, mit dem wesentliche Wechselwirkungen zwischen Gesundheit und Finanzen besser verstanden und Entscheidungsregeln abgeleitet werden können. Daraus wird ein Beratungsstandard entwickelt, um in der Praxis Risiken frühzeitig systematisch zu erkennen.
Publikation: Pflegerecht 3/2020