Gemeinschaftliches Wohnen – Potenziale weit unterschätzt

Alternative Wohnformen auch für Ältere sind großes Thema heute – ob in Stadtplanung, Wohnungspolitik, sozialer Gerontologie oder kommunaler Sozialpolitik. Ihre Schwerpunkte sind in vielen Details unterschiedlich, sie bilden moderne pluralisierte Lebenswünsche und -formen ab. Aber im Kern haben sie wichtige Gemeinsamkeiten – egal ob unter dem Label „integriertes Wohnen“, „gemeinschaftliches Wohnen“ oder „Wohnen für Jung und Alt“: Sie zielen auf Partizipation, Selbstbestimmung und aktiv gelebte Nachbarschaft bei gleichzeitiger Wahrung von Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit.

Wohnprojekt Solinsieme, St.Gallen

Im Kompetenzzentrum Generationen der FHS St. Gallen wird systematisch überlegt, wie diese Experimente auf breiterer Basis gefördert werden könnten.

Von ganz vielen werden diese Versuche als Minderheitenphänomene abgetan – Nischenmodelle, die angeblich nur für kleinste Gruppen privilegierter grossstädischer Mittelschichtsälterer infragekämen. Und insofern ganz klar Privatsache seien.
Dazu hier ein entschiedenes „Ja, -aber“: Denn internationale Befunde sprechen eine ganz andere Sprache:

  • Ja, mehrheitlich sind sie gut gebildet und ökonomisch gut gesichert, die derzeitigen Akteure… Das ist aber auch kein Wunder, dauert doch bei den hochkomplexen Projekten die Entwicklung oft 4, 5 oder 6 Jahre, sodass sehr viele nach grösstem Engagement oft entmutigt aufgeben.
    Aber: Da wo gute Unterstützung angeboten wird, dringen die innovativen Wohnformen auch in ganz andere Bevölkerungsgruppen vor:

    • Sie integrieren Alleinerziehende,
    • es gibt spannende Häuser mit Menschen unterschiedlichster Migrationsbiografien,
    • durch schlaue Konzepte der Kostenminderung und gemeinschaftlichen Produkt-Sharing-Initiativen oder Zeitkontenmodelle wird vieles auch für weniger Zahlungskräftige denkbar…
  • Ja, insgesamt ist es doch nur  ein kleiner %-Satz Älterer, für die das überhaupt infrage kommt …
    Aber:

    • Da, wo immer mehr Menschen andere Menschen kennen, die schon gemeinschaftlich wohnen,
    • wo in ganzen Stadtteilen die Gemeinden und Städte Grundstücke nur noch an Baugruppen geben, statt an Investoren,
    • wo inzwischen kompetente Akteure – ob aus Architektur, Finanzierung, Wohnungswirtschaft und Wohlfahrtsverbänden – das Potenzial erkannt haben und  begriffen haben, dass die Einzelpersonen und Gruppen kompetent begleitet werden müssen

An diesen Orten gibt es richtige Aufbruchstimmung, gibt es ganz viel best-practice anzuschauen und mitzuerleben. Da wird gemeinschaftliches Wohnen immer mehr zu einem (mit-)erlebbaren Normalfall unter vielen anderen Lebensformen.

  • Ja, da wo öffentliche Fördergelder (für Netzwerkagenturen, Beratungsstellen usw.) in die Hand genommen werden, haben auch Privatpersonen davon einen Nutzen, die tw. nicht zu den Schlechtergestellten gehören.
    Aber: Die positiven Effekte für die Gemeinden und Städte sind inzwischen so klar nachgewiesen, dass ein vielfacher öffentlicher Nutzen auf der Hand liegt,

    • da, wo gemeinschaftliche Wohnprojekte ganz viele zivilgesellschaftliche Initiative in die Gemeinwesen einbringen,
    • wo sie helfen, gutes Leben auch in zunächst problematischen Stadtteilen voranzubringen,
    • wo sie helfen, Infrastrukturdefizite auszugleichen, indem sie Gemeinschaftsräume, offene Gärten u.v.a.m. verwirklichen,
    • wo sie innovative und gemeinnützige Initiativen nach sich ziehen – vom Car-Sharing bis zu Bürgerschaftlichen Engagements,
    • wo sie Laboratorien für ein lebendiges Altern darstellen – Altern mittendrin in den Gemeinwesen, eingebunden in nachbarschaftliche Netze u.v.a.m.

Weil dies alles aber überhaupt nicht von alleine entsteht, möchte die FHS St. Gallen mit einem ambitionierten Projekt hier aktiv werden. Es geht um eine integrierte Entwicklungsagentür für gemeinschaftliche Wohnformen – die Initiative des Kompetenzzentrums Generationen ist mittlerweile weit gediehen. Ganz klar ist: Funktionieren kann dies nur, wenn alle wichtigen Kompetenzen zusammenkommen. Deshalb wird das Projekt auch von einem interdisziplinären Team vorangetrieben: Robert Langen (Soziale Arbeit/CCG), Lothar Natau (Ökonomie), Ulrich Otto (Soziale Gerontologie/CCG), Ueli Rhiner (Technik/IZSG), Susi Saxer (Gesundheit, Pflege/IPW-FHS), Lukas Scherer (Ökonomie). Wieviel wissenschaftliche Kompetenz in der Projektgruppe vertreten ist, zeigt sich nicht zuletzt an vielfältigen Vorarbeiten:

Weitere Infos + Texte gibt es hier:

zum Aufsatz von Langen & Otto, Hg.-Buch von Blonski (2009)