Fachdiskurs über Männlichkeiten

Aktuelle gesellschaftliche Veränderungen wirken sich stark auf das Rollenbild von Männern aus. Das Netzwerk TransforMen und die Fachhochschule St.Gallen haben darum zur ersten Fachtagung «Zeitdiagnose Männlichkeiten in der Schweiz» eingeladen. Ziel der zweitägigen Veranstaltung Mitte März war, bestehende Forschungsergebnisse zu Transformationsprozessen bei Männern in der Schweiz zu analysieren und die Fachpersonen für eine thematische Weiterentwicklung zu vernetzen.

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«In der Männerthematik zu forschen ist vielschichtig und herausfordernd», begrüsste Steve Stiehler, Studiengangsleiter Soziale Arbeit an der Fachhochschule St.Gallen (FHS), die rund 50 Teilnehmenden der nationalen Fachtagung zum Thema Männlichkeit. Einerseits befinde sich Männlichkeit im Spannungsverhältnis von neuen und tradierten Rollenbildern, andererseits sei die Männerforschung öffentlich zu wenig wirksam, so Stiehler. Eine Zeitdiagnose zu stellen gehöre daher zu den zentralen Aufgaben der Fachpersonen. Diese in Angriff zu nehmen war das Ziel der Fachtagung «Zeitdiagnose Männlichkeiten in der Schweiz», organisiert von der FHS St.Gallen und dem Netzwerk TransforMen (Arbeitsgruppe der Schweizer Gesellschaft für Geschlechterforschung).

Männlichkeiten im Wandel

Als Fachreferenten eingeladen waren Vertreter aus Wissenschaft und Praxis. Einen ersten Schwerpunkt setzte das Referat von Andrea Maihofer, Professorin für Geschlechterforschung und Leiterin des Zentrums Gender Studies an der Universität Basel. Anhand gesellschaftlicher Entwicklungen im 18. und 19. Jahrhundert zeigte sie auf, inwiefern Männlichkeit ein gesellschaftlich-kulturelles Phänomen und nicht biologisch festgelegt ist. Die Einführung der Wehrpflicht im 19. Jahrhundert hatte beispielsweise das Bild der wehrhaften Männlichkeit zur Folge. Die Rolle des Familienernährers wurde ebenfalls im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung zentral, als die Arbeiter um den Familienlohn kämpften. In den vergangenen Jahren ist die Kritik von Frauen wie Männern am traditionellen Männerbild allerdings gewachsen. Das hat laut Maihofer eine Pluralisierung von geschlechtlichen Existenzweisen zur Folge: Es ergeben sich neue Formen von Männlichkeit, Vaterschaft und Erwerbstätigkeit. Auch die Ernährerrolle wandelt sich.

Welche Herausforderungen dieser Wandel im Alltag mit sich bringt thematisierte Markus Theunert, Fachmann für Männer und Geschlechterfragen. Theunert ist der bekannteste Vertreter der Schweizer Männerbewegung und Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz. In seinem Referat zeigte er auf, welchen Wandel die Männerbewegung will und wie sie diesen bewirken möchte. «Für mich zeichnet sich in der Schweizer Gleichstellungspolitik allerdings ein düsteres Bild ab», sagt er. So würde lediglich die Erwerbstätigkeit von Frauen gefördert. Kaum Massnahmen gebe es hingegen, Männer zu unterstützen, die sich gerne stärker in die Familienarbeit einbringen würden. Hier müsse die Politik ansetzen. Theunert legte anhand aktueller Zahlen das Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit dar: Ein Familieneinkommen setzt sich zu zwei Dritteln aus dem bezahlten Lohn des Mannes und zu einem Drittel aus dem bezahltem Lohn der Frau zusammen. Die unbezahlte Arbeit zuhause leistet hingegen die Frau zu zwei Dritteln und der Mann zu einem Drittel. «Unser Ziel ist es, hier ein 50-50-Verhältnis zu erreichen», sagt Theunert.

Wie ein Mann zu sein hat wird bereits in der Kindheit und Jugend verfestigt. Das zeigte an der Tagung der Film «Schnäbi» von Luzius Wespe. Der Kurzfilm erzählt die Geschichte des vierzehnjährigen Leander, der sein Schnäbi zu klein findet. Als er sich in eine Mitschülerin verliebt, ziehen ihn seine Mitschüler damit auf, dass sein Schnäbi sowieso zu klein sei. In seinem Schaffen hat Wespe sich immer wieder mit dem Thema Männlichkeit auseinandergesetzt. «Die verschiedenen Rollen, die ein Mann in der Gesellschaft haben kann, haben mich schon immer interessiert, da ich mich selbst eher zu den untypischen und emotionalen Männern zählen würde», sagte der Regisseur im Gespräch. Aktuell arbeitet er an einem Dokumentarfilm, in dem er verschiedene Typen von Männern durch den Alltag begleitet.

Expertinnen und Experten vernetzen

Die Inputs von Maihofer und Theunert flossen in den zweiten Teil der Fachtagung ein. Cécile Wolf, Bachelorstudentin der Sozialen Arbeit, hat an der Fachtagung teilgenommen und ihre Eindrücke in einem Bericht zusammengefasst:

Die Teilnehmenden der Fachtagung «Zeitdiagnose Männlichkeiten in der Schweiz» konnten zwischen zwei Panels auswählen. Am Morgen standen die Themen „Different living conditions of men“ (Panel 1) und „Geschlechts(un)typische Berufswahl bei Männern“ (Panel 2) im Fokus. Beim Panel 1 hörten die Teilnehmenden Vorträge von Flavia Cangià, Brenda Spender, Elsa Gantenbein-Diem und Steve Stiehler. Im anderen Panel gab es Inputs von Kerstin Bronner und Thomas Knill, Tobias Studer und Sevda Günes sowie Marisol Keller. In der Diskussion im Panel 2 wurde erkenntlich, dass Jugendliche von Geschlechtsstereotypen in ihrer Berufswahl beeinflusst werden. Allerdings haben Männer in geschlechts(un)typischen Berufen trotzdem höhere Positionen aufgrund ihres Geschlechtes. Sie müssen dort aber auch höheren Erwartungen gerecht werden und Aufgaben erfüllen, welche Männern zugeordnet sind wie beispielsweise eine Glühlampe auszuwechseln. Sie profitieren in diesen Berufsfeldern allerdings immer noch von den patriarchalen Dividenden. Das Fazit des Panels 2: Veränderungen müssen auf vielen verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen stattfinden und es braucht eine gesellschaftliche Thematisierung. Zudem sollte allen die Möglichkeit offenbleiben, Erfahrungen in verschiedenen Berufen machen zu können ohne sie vorab einem Geschlecht zuzuordnen. Gerade die Arbeitsbedingungen müssten verändert werden, um auch einen Wandel bei der Zuordnung von Beruf und Geschlecht zu erreichen. Offen blieb in der Diskussion, welche Motivationen und Bedürfnisse zur Wahl eines geschlechts(un)typischen Berufs führen.

Nachmittags standen die Themen „Vereinbarkeit bei Männern“ (Panel 3) und „(un)doing masculinity“ (Panel 4) im Vordergrund. Beim Thema „Vereinbarkeit bei Männern“ konnten Vorträge von Stefan Paulus, Martina Peitz und Brigitte Liebig sowie Verena Witzig gehört werden. Im Panel 4 referierten Anika Thym, Nathalie Pasche sowie Wiebke Tennhoff, Julia Nentwich und Franziska Vogt. Am Nachmittag im Panel 3 wurde ersichtlich, dass teilzeitarbeitende Männer in der Schweiz nur in einem kleinen Anteil vorhanden sind und dass die Position von Vätern nach einer Trennung/Scheidung stark marginalisiert ist. Gerade auch Bedarfsansprüche in den Organisationen werden selten geltend gemacht. Ausserdem wurde den Teilnehmenden der von der Fachhochschule entwickelte Vereinbarkeitssimulator vorgestellt, welcher Gleichungen zwischen dem IST- und SOLL-Zustand in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erstellt. Somit können Handlungsalternativen für Männer mit Kindern erstellt und begründet werden, welche anschliessend beispielsweise mit den Vorgesetzten besprochen werden können. In der Diskussion im Plenum stand jedoch die Frage im Raum, wie kooperationsbereit die Organisationen in Bezug auf den Vereinbarkeitssimulator sind. Zudem wurde als Fazit erkenntlich, dass bei jungen Vätern mit Empowerment angesetzt werden sollte, um eine Veränderung in Gange zu bringen. Typologien sollten ausserdem aufgebrochen werden, damit keine neuen Hegemonien und Bilder über Geschlecht oder andere Kategorien geschaffen werden.

Abschliessend kann gesagt werden, dass der Wandel immer noch individuell von statten geht und noch nicht strukturell. Väterarbeit in der Berufswahl und Vaterschaftsurlaub sind nur zwei von wenigen Themen, die bearbeitet und ausgearbeitet werden müssen. Durch den Vereinbarkeitssimulator konnte ein wichtiger Schritt in Richtung Vereinbarkeit von Familie und Arbeit bei Männern greifbar gemacht werden, wobei dies in weiteren Kreisen Anschluss finden sollte. Wir stecken immer noch in einem Diskurs zwischen einem Wandel und Persistenz von Männlichkeiten, welcher jetzt allerdings fruchtbar ist und einen Boden für Veränderungen bietet.

Hier geht es zum Programm und den Panel-Beschreibungen

Text: Nina Rudnicki und Cécile Wolf
Bilder: Peter Ruggle