Menschen mit Beeinträchtigungen haben besondere Fähigkeiten. Das zeigte der Kulturzyklus Kontrast des Fachbereichs Soziale Arbeit an der FHS St.Gallen auf eindrückliche Weise. Die dritte Durchführung der Veranstaltungsreihe verzeichnet mit rund 550 Gästen einen Besucherrekord.
Der diesjährige Kulturzyklus Kontrast an der Fachhochschule St.Gallen hat den Besucherinnen und Besuchern wieder Einblicke in das künstlerische Schaffen von Menschen mit Beeinträchtigungen gewährt. «Besondere Menschen haben es verdient, ins Zentrum gestellt zu werden», sagte Sebastian Wörwag, Rektor der FHS St.Gallen, zum Auftakt. Dank ihren Begabungen könne sich die Gesellschaft mit ihnen auseinandersetzen, die Grenzen, die zwischen ihnen stünden, verschieben oder sogar vermindern. Der Kulturzyklus Kontrast zeige auf, dass diese Menschen zwar beeinträchtigt, aber auch begabt seien.
Von Kunst über Film bis zu Theater
Am ersten Kulturabend wurde die Ausstellung mit Fotografien von Sven Kocar eröffnet. Der Mediengestalter, Autor und Kunstfotograf aus Berlin präsentiert in seinen Fotografien alltägliche Objekte und Lebewesen aus ungewohnter Perspektive: Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung bedient er seine Digitalkamera mit den Füssen. Von unten nach oben – oder im wahrsten Sinne «auf gleicher Augenhöhe» – betrachtet, wirken unscheinbare Gegenstände auf seinen Fotografien plötzlich ausgefallen und spannend. Die Bilder sind noch bis am 25. November im ersten Stock der FHS St.Gallen zu sehen.
«Behinderung ist ein Tabu, Sexualität ist ein Tabu. Beide Tabus zusammen addieren sich nicht, sie potenzieren sich», sagte der Filmkritiker Alex Oberholzer nach der Vorführung des Films «The Sessions – wenn Worte berühren». Im von der Kritik hochgelobten Kinofilm beschliesst der in seiner Kindheit an Polio erkrankte und jetzt 38-jährige Mark O’Brien (John Hawkes) seine ersten sexuellen Erfahrungen zu machen – eine Berührerin soll ihm auf diesem Weg assistieren und so engagiert er die Sexualtherapeutin Cheryl (Helen Hunt). Der Film und das anschliessende Podiumsgespräch mit der Sexualbegleiterin Isabelle Kölbl haben am zweiten Kulturabend Wege geöffnet, um die beiden nach wie vor tabuisierten Themen Behinderung und Sexualität öffentlich zu machen.
Der Schweizer Autor Michael Fehr zeigte am dritten Kulturabend eindrücklich, wie eine Lesung ganz ohne Buch in Papierform möglich ist: Da er seit seiner Geburt an einer starken Sehschwäche leidet, schreibt er seine Texte nicht in schriftlicher Form, sondern spricht sie zuerst, zeichnet den Ton auf und setzt sie am Computer zusammen. Bei einer Lesung hört er seine Texte als Audiodatei und trägt sie – praktisch ohne Zeitverzögerung – dem Publikum vor. So gewährte der Berner dem Publikum einen spannenden Einblick in die Kriminalgeschichte «Simeliberg».
Am vierten Kulturabend verzauberte die «I Dance Company» aus Wien das Publikum: Tanzend begegneten die Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Down-Syndrom Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderung. In ihrer neuen Performance erwecken sie gesprochene Worte mit ihrer Körpersprache zum Leben. Ziel des Tanz-Ensembles ist es, tanzbegeisterten Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom die Möglichkeit zu geben, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Zum Abschluss der Reihe begeisterten der Ostschweizer Olli Hauenstein und sein Bühnenpartner Eric Gadient das Publikum mit dem gefeierten neuen Stück «Clown-Syndrom». Mit viel Poesie, Musik und Humor agierten sie auf Augenhöhe und machen ihre Unterschiede auf der Bühne irrelevant oder gar unsichtbar.
Menschen mit Besonderheiten integrieren
Die FHS will mit dem Kulturzyklus Kontrast weit mehr bieten als schöne Ausstellungen und unterhaltsame Darbietungen. Laut Stefan Ribler, Dozent im Fachbereich Soziale Arbeit der FHS St.Gallen, möchte man Menschen mit Besonderheiten eine Stimme geben; sie miteinbeziehen und ihr künstlerisches Schaffen ins Zentrum stellen. Der nächste Kulturzyklus Kontrast findet vom 7. bis 11. November 2017 statt.