Welche Rolle spielt Soziale Arbeit in der Politikgestaltung auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene? Gibt es hierbei länderspezifische Unterschiede? Was können Berufsleute über die Grenzen hinweg voneinander lernen? Diesen Fragen gehen John Gal (Hebrew University) und Idit Weiss-Gal (Tel Aviv University) in ihren Untersuchungen nach. Im Rahmen eines Forschungsaufenthalts waren sie zu Gast beim Institut für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) an der Ostschweizer Fachhochschule. Damit ist der Grundstein einer internationalen Forschungszusammenarbeit gelegt.
Fachpersonen der Sozialen Arbeit engagieren sich für das Wohlbefinden ihrer Adressatinnen und Adressaten und für soziale Gerechtigkeit. Um ihren Berufsauftrag zu erfüllen, initiieren sie sowohl Veränderungen beim Individuum, als auch in ihrem organisationalen und gesellschaftlichen Umfeld. Durch ihr sozialpolitisches Engagement zielen sie darauf ab, Impulse für sozialen Wandel zu geben. Sozialarbeitende nehmen Einfluss auf die Sozialpolitik und die Institutionen, um soziale Probleme besser zu bewältigen und die Bedürfnisse der Betroffenen angemessener zu berücksichtigen. Idit Weiss-Gal und John Gal nennen dies politische Praxis (policy practice) und bezeichnen damit die ganze Spannbreite des fachlich-politischen Handelns. Dies beinhaltet ebenso die Einflussnahme auf Konzepte in Organisationen, wie auch die Mitgestaltung von gesetzlichen Bestimmungen auf kantonaler oder nationaler Ebene.
Doch welche Möglichkeiten der Politikgestaltung haben Fachkräfte der Sozialen Arbeit auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene? Wie unterscheiden sich die Gegebenheiten in nationaler und transnationaler Perspektive? Und wie kann die Profession der Sozialen Arbeit von den unterschiedlichen Herangehensweisen und Strategien in verschiedenen Ländern lernen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich John Gal und Idit Weis-Gal, die an der Hebrew University in Jerusalem und der Tel Aviv University forschen und lehren. In ihrer Arbeit versuchen sie zu verstehen, welche Faktoren mit der Entscheidung von Fachkräften verbunden sind, fachlich-politisch zu denken und zu handeln und welche Strategien sie dabei verfolgen.
Statement Prof. Dr. Stefan Köngeter:
«Die Soziale Arbeit spricht häufig von ihrem politischen Auftrag, ohne jedoch klar zu benennen, wie dieser gestaltet wird. Idit und John gehen im Gegensatz dazu von dem konkreten Handeln der Kolleginnen und Kollegen in der Praxis aus. Das führt uns heraus aus ideologischen Grabenkämpfen und zeigt auf, wie die Soziale Arbeit als Profession gesellschaftliche Probleme benennen und Lösungsmöglichkeiten in die politische Auseinandersetzung im Kleinen wie im Grossen einbringen kann.»
Um die besonderen Rahmenbedingungen in der Schweiz und das politische Handeln von Sozialarbeitenden kennenzulernen, verbrachten John Gal und Idit Weiss-Gal von September bis November 2020 einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt am IFSAR der Ostschweizer Fachhochschule. Unterstützt wurde der Forschungsaufenthalt durch den Schweizerischen Nationalfonds. Das IFSAR organisierte Gespräche mit Berufsleuten, Dozierenden und dem Berufsverband AvenirSocial, um dem Forscherehepaar aus Israel einen Einblick in den Kontext der Schweizerischen Sozialen Arbeit und den Prozess der beruflichen Sozialisierungen in der Ausbildung zu vermitteln.
Statement Tobias Kindler:
«John und Idit prägen die internationale Forschung zur politischen Praxis Sozialer Arbeit hauptsächlich und wesentlich mit. Insofern war ihr Aufenthalt an unserem Institut nicht nur eine Gelegenheit für die beiden, die Funktionsweise der Sozialen Arbeit in der Schweiz kennenzulernen, sondern ermöglichte auch interessierten Kolleginnen und Kollegen an der OST, sich mit dem Konzept ‘Policy Practice’ vertraut zu machen und vertiefter über eine politisch agierende Soziale Arbeit nachzudenken.»
Im Rahmen ihres Aufenthalts präsentierten John Gal und Idit Weis-Gal zentrale Erkenntnisse ihrer Arbeit auch an einer internationalen Konferenz zur politischen Praxis von Sozialarbeitenden, welche vom IFSAR und der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) organisiert wurde und Wissenschaftler*innen, Studierende und Praktiker*innen aus der Schweiz, Deutschland, Israel, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern der Welt zusammenbrachte. Der dreimonatige Forschungsaufenthalt der beiden Gäste aus Israel in der Ostschweiz legt den Grundstein für eine internationale Forschungszusammenarbeit zwischen der Tel Aviv University, der Hebrew University und der Ostschweizer Fachhochschule. Untersucht werden soll unter anderem, mit welchen Strategien und Methoden Fachpersonen der Sozialen Arbeit sich in lokalpolitische Entscheidungsprozesse einbringen und welche Wirksamkeit diese Einmischung entfaltet.