Das Altern als neue Lebensperspektive

Die 4. St.Galler Generationentagung diskutierte am 7. September 2009 das Leben nach 50 zwischen Tradition, Innovation und Diskriminierung. Unter dem Titel „Älter werden all inclusive“ fand am Montag in Rorschach die 4. St.Galler Generationentagung statt. 130 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil, die von der FHS St.Gallen organisiert wurde. Ein spannender Generationenmix aus Seniorinnen und Senioren, Verantwortlichen für Altersprojekte in Gemeinden sowie Vertretern von Interessengruppen und gemeinnützigen Organisationen wie beispielsweise das Seniorweb besuchten die Tagung.

In seinen Begrüssungsworten erinnerte FHS-Rektor Sebastian Wörwag an die älteste Frau der Welt, die 1997 im Alter von 122 Jahren verstorben ist. Mit 100 Jahren sei sie noch Velo gefahren, mit 110 von der eigenen Wohnung ins Altersheim disloziert und erst mit 119 habe sie das Rauchen aufgegeben. Zu letzterem habe sie sich allerdings nur entschlossen, weil sie die Zigarette nicht mehr selber habe anzünden können und zu stolz gewesen sei, um Hilfe zu bitten. „Ein wesentliches Merkmal der Französin war der unbändige Wille, bis ins hohe Alter freiheitsbestimmt zu leben“, betonte der Rektor.

Neue Begrifflichkeit gefragt
Der dritte Lebensabschnitt werde oft mit Bezügen wie Ruhestand, Passivsein und Ausgrenzung in Verbindung gebracht, erklärte Sebastian Wörwag weiter. Viele ältere Leute stünden aber heute auf der aktiven Seite des Lebens. Das Tagungsmotto „all inclusive“ wolle für das Spannungsverhältnis zwischen inbegriffen und ausgeschlossen sensibilisieren. Im Zentrum stehe die Frage, wie sich eine altersintegrierte Gesellschaft entwickeln könne.
Als erster Referent thematisierte Walter Rehberg, Professor an der FHS St.Gallen, die Altersdiskriminierung. In einem Forschungsprojekt hätten 76 Prozent der Befragten von mindestens einem altersdiskriminierenden Erlebnis berichtet. Anzutreffen seien sie in den unterschiedlichsten Lebensbereichen.
Wirtschaftsprognostiker Bernd Schips schickte in seinem Referat voraus, dass alle Altersgruppen von Diskriminierung betroffen sein können. Am häufigsten ziele sie aber auf ältere Menschen. Sie würden beispielsweise in den Betrieben weniger an Fort- und Weiterbildung beteiligt oder hätten nicht selten Mühe, eine Wohnung zu mieten, eine Versicherung abzuschliessen oder ein Darlehen zu bekommen. Vieles beruhe auf Voreingenommenheit gegenüber dem Alter, wobei auch die älteren Menschen selber zum Erhalt vieler Klischees ihren Beitrag leisteten.

Gemeinschaftliche Wohnformen
FHS-Professor Robert Langen referierte über innovative, gemeinschaftliche Wohnformen. Dahinter steht die Idee, dass sich verschiedene Leute zusammentun, ihre Wohnbedürfnisse formulieren und schliesslich baulich umsetzen. Noch gebe es in der Schweiz erst vereinzelte Projekte, doch steige das Interesse ständig. Das Launch-Center der FHS St. Gallen habe zum Ziel, gemeinschaftliche Wohnformen zu fördern und bei der Umsetzung Unterstützung zu bieten.
Soziologe Peter Gross von der Universität St. Gallen sprach über den „Glücksfall Alter“. Älter werden und weniger Kinder zu haben sei das Ergebnis freiheitlicher Gesellschaften. Statt über die demografische Entwicklung zu klagen, sei es angebracht, stolz darauf zu sein. Die längere Lebenszeit bedürfe aber einer Sinngebung. Es brauche individuelles Engagement wie auch gesellschaftspolitische Korrekturen. Als Beispiel hob Peter Gross das festgesetzte Pensionsalter hervor. „Innerhalb eines Jahrhunderts sind die Menschen bei uns drei Jahrzehnte älter geworden. Da kann es nicht angehen, dass wir den Arbeitsmarkt zwingend mit 65 Jahren verlassen müssen.“ Die Forderung laute, dass künftig das Pensionsalter frei wählbar sei.