Heute leben mehr als doppelt so viele an Krebs erkrankte Menschen in der Schweiz als vor 25 Jahren. Das hat zwar mit der Zunahme von Neuerkrankungen zu tun; aber vor allem auch damit, dass viel weniger Menschen an Krebs sterben – ein grosser medizinischer Erfolg. Allerdings leiden viele nach der Heilung an Langzeitfolgen. Dazu gehören nicht nur gesundheitliche Probleme, sondern in vielen Fällen auch beträchtliche finanzielle Einschränkungen und damit eine geringere Lebensqualität.
Ein soeben abgeschlossenes Projekt der Institute für Angewandte Pflegewissenschaft (IPW), Modellbildung und Simulation (IMS) sowie Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) untersuchte und modellierte die komplexen Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Arbeitssituation, finanziellen sowie Care-Ressourcen. Finanzielle Notlagen entstehen in zirkulären Prozessen und werden oft zu spät erkannt und hinsichtlich längerfristiger Folgen unterschätzt. Dies liegt nicht nur an der Komplexität, sondern auch, dass Pflegefachpersonen und Onkologinnen und Onkologen finanzielle Fragen nur ungern ansprechen. Sie erachten dies nicht als ihre Aufgabe und beobachten, dass das Thema bei vielen Patientinnen und Patienten mit Scham behaftet ist. Gerade weil systematische Assessments bisher fehlen, stehen in den ersten Behandlungsphasen medizinische und therapeutische Fragen im Zentrum und finanzielle werden vernachlässigt.
Mit der Modellierung konnten drei Bedingungen aufgezeigt werden, die in engen Wechselwirkungen stehen und nötig sind, um die finanzielle Situation nach einer Krebserkrankung zu stabilisieren:
- die Erwerbssituation so anpassen, dass die Symptombelastung bewältigt werden kann;
- zusammen mit dem persönlichen Netzwerk und allenfalls Renten oder anderer Unterstützung die finanziellen Ressourcen stabilisieren, trotz Mehrausgaben oder reduziertem Erwerbsumfang der Krebsbetroffenen (Sparen, Erweiterung der Erwerbsarbeit des Partners usw.);
- die Careressourcen (Therapien, gesundheitsfördernde Massnahmen, Hilfen zur Bewältigung des Alltags usw.) trotz reduzierter finanzieller Ressourcen zu stabilisieren.
In Form eines Betreuungsstandards für Fachpersonen in der Onkologie wurden die Erkenntnisse operationalisiert. Neben Hintergrundinformationen steht ein Screeninginstrument zur Verfügung, mittels dessen finanzielle Risiken abgeschätzt werden können. Ab einem definierten Schwellenwert wird den Betroffenen eine vertiefte Sozialberatung, z.B. bei der Krebsliga, empfohlen und entsprechende Kontakte vermittelt.
Der Betreuungsstandard wurde in den Kantonsspitälern Winterthur und St.Gallen erfolgreich getestet und wird von den Krebsligen in weiteren Spitälern zur Implementierung empfohlen werden.
Die wissenschaftliche Publikation ist als Preprint bereits einsehbar.
Das Projekt «Gesundheitsrisiko Geld – sozioökonomische Auswirkungen einer Krebserkrankung» wurde von der Krebsliga Schweiz und der Stiftung Ebnet grosszügig finanziert.
siehe auch Blogartikel „Gesundheitsrisiko Geld bei Krebserkrankungen“